Das Innere Team - Entscheidungen vertreten, die man innerlich ablehnt

„Sie geht zum Monatsende – und wir dürfen nicht nachbesetzen. Die Auftragslage ist heftig, das Team erschöpft. Der Sommer steht vor der Tür und ich frage mich: Wie lange halten wir das noch durch – ohne zu brechen?“

Viele Führungskräfte kennen solche Momente. Sie sind selten laut und in der Regel auch nicht dramatisch – aber sie hinterlassen Spuren. Spuren von Zerrissenheit, Zweifel, manchmal sogar Schuld. Denn während sie offiziell als Vertretende der Organisation agieren, erleben sie innerlich einen Spagat: zwischen Loyalität und Fürsorge, zwischen Effizienzdenken und Menschlichkeit.

Zwischen Pflichtgefühl und innerem Widerstand

Je nach Konstellation schwanken die Gedanken zwischen Verständnis und Widerstand, zwischen Pflichtbewusstsein und dem Wunsch, für das Team einzustehen. Genau hier entsteht ein innerer Konflikt, der – wenn er nicht bewusst angeschaut wird – auf Dauer zermürbt.

Was da innerlich passiert, ist kein persönliches Scheitern – sondern ein ganz normales psychisches Phänomen.

Führungskräfte agieren oft in komplexen Systemen mit widersprüchlichen Erwartungen. Organisationale Zielvorgaben kollidieren mit persönlichen Werten.

Das Innere Team verstehen und nutzen

Der Soziologe Niklas Luhmann beschrieb Organisationen als Systeme mit „funktionaler Differenzierung“ – jede Rolle folgt ihrer eigenen Logik. Für Führungskräfte bedeutet das: Sie müssen multiple Perspektiven integrieren, auch wenn diese einander widersprechen.

Genau hier hilft ein psychologisches Modell, das ursprünglich aus der Kommunikationspsychologie stammt: das Innere Team von Friedemann Schulz von Thun. Es beschreibt die Vielstimmigkeit in unserem Inneren – also die verschiedenen inneren Haltungen, Wünsche, Befürchtungen, die alle gleichzeitig in uns aktiv sind.

Wenn das Innere Team durcheinander spricht

In herausfordernden Führungssituationen zeigt sich das Innere Team oft in voller Lautstärke – auch wenn es im ersten Moment eher nach innerem Chaos aussieht.

Typische Stimmen sind zum Beispiel:
  • „Ich muss die Entscheidung mittragen – das ist meine Rolle.“ – Die Loyale
  • „Mein Team braucht mich jetzt. Ich darf das nicht schönreden.“ – Die Fürsorgliche
  • „Wenn ich zu offen spreche, verliere ich die Unterstützung der Geschäftsführung.“ – Die Strategin
  • „Ich kann und will das nicht mehr vertreten!“ – Die Rebellin
  • „Ich muss vermitteln, sonst eskaliert alles.“ – Die Diplomatin

Diese Beispiele sind nur mögliche innere Stimmen – Schulz von Thun hat keine festen „Charaktere“ definiert. Das Innere Team ist individuell und situativ. Welche Stimmen innerlich sprechen, hängt stark von der eigenen Persönlichkeit, den Werten und der konkreten Situation ab. Ziel ist es, sie bewusst wahrzunehmen und miteinander in einen inneren Dialog zu bringen.

Was Führungskräfte konkret tun können

Viele Führungskräfte spüren intuitiv, dass ein „Augen zu und durch“ keine langfristige Strategie ist. Aber was ist die Alternative?

  1. Innere Klarheit vor äußerer Kommunikation

Nimm Dir bewusst Zeit, Dein Inneres Team aufzustellen. Welche Stimmen sind gerade besonders laut? Welche unterdrückst Du vielleicht, weil Du sie für „schwach“ hältst?


Oft hilft es, diese Anteile aufzuschreiben – so entsteht eine Art
inneres Boardmeeting. Ziel ist nicht, alle zufriedenzustellen, sondern die innere Führung zurückzugewinnen.

  1. Transparent kommunizieren – ohne die Organisation bloßzustellen

Gerade in schwierigen Phasen braucht Dein Team keine Durchhalteparolen, sondern Echtheit. Sag, was Du selbst wahrnimmst: „Ich sehe, dass es gerade viel ist. Und ich weiß, dass uns Ressourcen fehlen. Ich kann nicht alles ändern – aber ich nehme eure Lage ernst.“


Diese Form der
Kommunikation stärkt Vertrauen – und entlastet auch Dich.

  1. Motivation differenziert fördern

Wenn die Umstände nicht ideal sind, kommt es umso mehr darauf an, was Menschen im Inneren trägt. Die „Fünf Sprachen der Mitarbeitermotivation“ (siehe Blogartikel HIER) bieten einen wertvollen Zugang:

  • Wer braucht Anerkennung?
  • Wer möchte eingebunden werden?
  • Wer zieht Kraft aus Entwicklungsmöglichkeiten?
  • Wer schätzt kleine Gesten oder gemeinsame Zeit?
    Diese Fragen bewusst zu stellen, kann Wunder wirken – gerade in belasteten Zeiten.

Wirklich gut führen heißt nicht, immer stark zu wirken – sondern echt zu sein

Führung bedeutet nicht, jede Entscheidung gut finden zu müssen, sondern sie so zu vertreten, dass man sich selbst treu bleibt. Klarheit beginnt im Inneren – und strahlt dann nach außen.

Das Modell des Inneren Teams hilft, Gedanken und Gefühle einzuordnen, die eigene Position zu finden und genau die Sprache zu finden, die das Team jetzt braucht. Und das ist nicht nur klüger – es ist auch menschlicher.

Wer beginnt, mit dem Inneren Team zu arbeiten, wird feststellen:

  • Entscheidungen werden klarer.
  • Kommunikation wird authentischer.
  • Der Druck nimmt ab – weil man sich selbst wieder vertraust.

Klar, bewusst und fokussiert in Führung gehen – auch (und gerade) dann, wenn es schwer ist

One Comment

  1. […] Das Modell des Inneren Teams von Friedemann Schulz von Thun bietet einen hilfreichen Zugang, um die innere Zerrissenheit nicht als Schwäche zu deuten, sondern als Ausdruck innerer Differenziertheit. Es beschreibt die Vielstimmigkeit der eigenen Persönlichkeit – verschiedene Haltungen, Erfahrungen und Werte, die in bestimmten Situationen gleichzeitig aktiv werden und miteinander ringen. (siehe auch Blogartikel „Entscheidungen vertreten, die man innerlich ablehnt„) […]

Comments are closed.