Blogartikel: Werte im Kreuzfeuer: Wie Führung mit dem Diversity Backlash umgeht

Lange galt es als Konsens: Vielfalt gehört zum Führungsverständnis moderner Unternehmen. Diversity, Equity, Inclusion – nicht als CSR-Schmuck, sondern als Baustein leistungsfähiger, resilienter Organisationen. Doch dieser Konsens gerät ins Wanken.

In den USA hat der politische Gegenwind längst strukturelle Auswirkungen. Fördermittel sind an Anti-DEI-Vorgaben geknüpft, Universitäten geraten unter Druck, börsennotierte Unternehmen ziehen Initiativen zurück. Und weil die Wirtschaft global vernetzt ist, wirkt diese Dynamik inzwischen auch in deutschen Unternehmen – entweder durch direkte Compliance-Sorgen oder über den vorsichtigen Blick auf öffentliche Reaktionen.

Einige reagieren – mit Rückzug. SAP zum Beispiel hat angekündigt, das Ziel eines 40 %-Frauenanteils in Führungspositionen aufzugeben, mit Verweis auf regulatorische Risiken. Die Formulierung klingt harmlos:

„Initiativen müssen an geltendes Recht angepasst werden.“ (SAP Unternehmensführung)

Doch sie steht sinnbildlich für ein Führungsverständnis, das Haltung zur Variablen erklärt – steuerbar, anpassbar, risikominimierend.¹

Führungskräfte stehen heute vor einer Entscheidung, die nicht im Lehrbuch steht

Die Herausforderung ist subtil – und gerade deshalb gefährlich. Denn sie tarnt sich nicht als klassischer Zielkonflikt, sondern als stille Verschiebung im Koordinatensystem.

Was gestern noch als klares Bekenntnis zu Diversität galt, wird heute zur Risikoposition im politischen Diskurs. Wer sich äußert, wird sichtbar. Wer sichtbar ist, wird angreifbar. Und wer angreifbar ist, wird in Frage gestellt – von Medien, von Stakeholdern, von internen Machtpolen.

In dieser Lage erleben viele Führungskräfte eine paradoxe Situation: Werte, die über Jahre strategisch aufgeladen wurden, gelten plötzlich als „heikel“. Haltung wird nicht mehr eingefordert, sondern kritisch beäugt. Und genau hier beginnt Führung – oder endet sie.

Es gibt Unternehmen, die diesem Klima nicht ausweichen. Aber sie tun es nicht durch Parolen oder Kampagnen, sondern durch Klarheit im Innen und Durchhaltevermögen im Außen.

Lush etwa hat in den USA – einem der härtesten Märkte für DEI-Initiativen – entschieden, nicht zurückzuweichen, sondern sich offensiv zu positionieren. Drei ihrer Bestseller-Badebomben erschienen unter den Namen Diversity, Equity und Inclusion – nicht als Gag, sondern als Statement.

CEO Mark Constantine sagte dazu:

„We stand in solidarity with all those people who have worked so hard to create these rights.“² (Mark Constantine)

Dazu kommt: Lush setzt seit Jahren konkrete Zeichen – ob durch das temporäre Schließen der Shops zum globalen Klimastreik, durch interne Mitarbeitergruppen, DEIB-Trainings oder ihr klares öffentliches Bekenntnis zu Black Lives Matter. Haltung ist hier kein Aushängeschild – sie ist Geschäftsgrundlage.³

Diversity wird nicht „mitgedacht“, sondern implementiert – messbar, budgetiert, operationalisiert.

Die Deutsche Bank verfolgt ihre DEI-Ziele trotz internationalem Gegenwind aktuell noch konsequent weiter – mit klaren Zielmarken, Ressourcenbindung und der öffentlichen Aussage von CEO Christian Sewing:

„Wir stehen fest hinter unseren DEI-Programmen; sie sind integraler Bestandteil unserer Strategie.“ (Christian Sewing)

Das ist keine Floskel, sondern eine Setzung. DEI ist in der Bank inzwischen nicht mehr Delegationssache – es ist Vorstandsaufgabe⁴.

Und dann ist da Harvard – weit entfernt von deutschen Konzernrealitäten, aber beispielhaft für ein Führungsverständnis, das sich nicht einschüchtern lässt. Präsident Alan Garber äußerte sich unmissverständlich gegen politische Einflussnahme auf akademische Inhalte:

„No government—regardless of which party is in power—should dictate what private universities can teach, whom they can admit and hire.“ (Alan Garber)

Eine Haltung, die nicht auf Zustimmung wartet – sondern aus Überzeugung handelt⁵.

Was heißt das konkret für Führung auf Top-Management-Ebene?

  1. Verbindlichkeit durch Verankerung schaffen

Haltung zeigt sich nicht in Leitbildern, sondern in Steuerung. Wer Vielfalt ernst nimmt, koppelt sie an reale Führungsmechanismen: Zielvorgaben, Nachfolgeprozesse, Projektbesetzungen. Und vor allem: Budgets. Wer Diversität mit null Euro unterfüttert, entwertet sie strukturell. Entscheidend ist nicht, ob es ein DEI-Programm gibt – sondern ob es bezahlt wird, gemessen wird, nachgehalten wird.

  1. Haltung gehört in die Unternehmenskommunikation – nicht in den Krisenmodus

Glaubwürdige Kommunikation beginnt nicht erst im Shitstorm. Sie entsteht, wenn Haltung von Anfang an integraler Bestandteil der Positionierung ist. Werte sollten kein Reaktionsreflex sein, sondern eine kontinuierliche Bezugsgröße – sichtbar in CEO-Statements, Führungskräftetagen, Strategiedialogen. Es geht nicht darum, laut zu sein. Sondern darum, klar zu bleiben.

  1. Werte anschlussfähig machen – aber nicht relativieren

Anschlussfähigkeit bedeutet nicht, dass man Haltung aufweicht. Sie bedeutet, sie in wirtschaftliche und strategische Sprache zu übersetzen. Warum ist Diversität kein „Nice to have“, sondern ein Risikoindikator? Warum bedeutet Gleichheit nicht Ideologie, sondern Stabilität? Wer das nicht erklären kann, verliert nicht nur Legitimation – sondern Führungskraft.

  1. Zielkonflikte benennen – und führen

Haltung beginnt da, wo es unbequem wird. Vielfalt kann mit Tempo kollidieren, mit Ertragszielen, mit Marktinteressen. Wer diese Spannungen nicht benennt, verliert Vertrauen. Wer sie benennt und moderiert, schafft Reife im System. Führung zeigt sich nicht in der Vermeidung von Konflikten, sondern in der Fähigkeit, sie verantwortungsvoll zu führen.

  1. Haltung braucht Resilienz im System – nicht nur Mut an der Spitze

Ein CEO kann Haltung zeigen – aber wenn Strukturen, Prozesse und Kultur diese nicht mittragen, bleibt sie folgenlos. Deshalb: Haltung braucht Multiplikatoren, Kommunikationsräume, Widerspruchstoleranz. Sie braucht Organisation. Sonst bleibt sie Symbol.

Fazit

Führung zeigt sich nicht in makellosen Antworten, sondern in der Bereitschaft, klare Linien zu ziehen – auch wenn sie nicht jedem gefallen.

Was Siemens, Deutsche Bank und Harvard eint, ist nicht Lautstärke. Es ist die Konsequenz, mit der sie das, was sie sagen, mit dem verknüpfen, was sie tun. Wer heute führt, braucht keine neuen Programme – sondern ein geschärftes Koordinatensystem. Denn der Gegenwind bleibt. Aber mit Klarheit bleibt auch die Richtung.

¹ SAP streicht das Ziel von 40 % Frauenanteil in Führungspositionen: tagesschau.de

² Lush benennt Badebomben zu Diversity, Equity und Inclusion um:
weare.lush.com

³ Weitere DEI-Aktivitäten von Lush:
Black Lives Matter Statement; Geschäftsschließung wegen Klimastreik

⁴ CEO-Statement und Fortschritte der Deutschen Bank im Bereich DEI:
sueddeutsche.de; reuters.com, db.com

⁵ Harvard University positioniert sich gegen politische Eingriffe in Lehre und Forschung:
diversity.com; harcard.edu