Perfektionismus - Fluch oder Segen

„Du wurdest geboren um echt zu sein, nicht um perfekt zu sein.“
(Oscar Wilde)

Was ist Perfektionismus und wozu dient es uns?

In gesundem Maße treibt uns Perfektionsstreben an, außergewöhnliche Leistungen zu erbringen, beispielsweise im Leistungssport, aber auch Termine einzuhalten, einen Qualitätsstandard aufrecht zu erhalten, Vorbild für andere zu sein, unseren Werten und Standards gerecht zu werden.

Perfektionismus ist geknüpft an Fehlervermeidung.

Es gibt Lebens- und Arbeitsbereiche in denen Fehler nur sehr schwer verziehen werden können. In der Medizin beispielsweise oder überall wo Präzisionsarbeit erforderlich ist, aber auch wenn es darum geht, Verträge abzuschließen oder zukunftsweisende Entscheidungen zu fällen.

Doch wann wir aus dem Streben nach Perfektion eine Belastung?

Diese Frage können wir uns aus zwei Richtungen nähern. Das eine ist die erwartete Perfektion, die wir an uns selbst richten und das andere die, die wir von anderen einfordern.

Unser eigenes Perfektionsstreben wird dann zur Belastung, wenn wir nicht mehr in die Umsetzung kommen. Dann zum Beispiel. wenn wir der Meinung sind, noch nicht alle Informationen zu haben, nicht perfekt vorbereitet oder ausgebildet zu sein oder uns einfach die Zeit fehlt, Dinge perfekt zu machen.

Das hinterlässt ein Geschmäckle von „Ich bin nicht gut genug“, „Ich bin nicht perfekt genug“ „Andere sind so viel besser, schneller,…“ „Nie kann ich es richtig machen“ und so fort.

Diese Glaubensüberzeugungen entstehen nicht von jetzt auf gleich, sondern sind in der Regel vor längerer Zeit in uns gewachsen.

Aber es wird auch zur Belastung, wenn wir tatsächlich be-lastet sind, wenn unsere Gedanken nur noch um unseren eigenen Anspruch kreisen, wir ungesunde Verhaltensmuster und -gedanken entwickeln.

Der Perfektionsanspruch an andere hat in der Regel ebenfalls seinen Ursprung in uns selbst. Sind wir eher der Typ, der/die auch mal „fünfe grade sein lassen“ kann, können wir Fehler auch bei unseren Mitmenschen leichter verzeihen. Doch wollen wir selbst immer alles richtig machen, fällt es uns schwerer, über die Imperfektion der anderen hinwegzusehen.

Definition Perfektion – gefärbt durch unsere persönliche Wahrnehmung

Wenngleich Perfektion immer im Auge des Betrachters/ der Betrachterin liegt. Wir alle nehmen die Welt und Umwelt durch unsere persönliche Brille wahr. Diese ist beispielsweise gefärbt von Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben.

Die Krümel, die auf dem Küchentisch liegen, stören den einen und die andere nicht. Was ist in diesem Sinne perfekt? Der saubere Tisch, der blitzeblank strahlt und lupenrein aussieht oder der, auf dem erkennbar ist, dass ihn Menschen benutzen, der Leben ausstrahlt?

Wie finden wir heraus, ob wir Perfektionisten sind, denen der eigene Anspruch zu Last wird?

Das Unterscheidungskriterium ist die Akzeptanz. Kann ich akzeptieren, wenn ich nach hoher Leistung oder Qualität strebe, alles perfekt machen will und es dann doch nicht schaffe? Oder kann ich es nicht?

Die Wissenschaft unterscheidet zwischen funktionalem und dysfunktionalem Perfektionismus.

Funktionaler Perfektionismus ist der sogenannte „gesunde Perfektionismus“, also der, der uns antreibt, besser zu werden, Dinge richtig zu machen und uns im positiven Sinne zu verändern.

Dysfunktionale Perfektionismus wird zur Belastungsprobe für unser Nervensystem. Das ist der Anspruch, den wir an uns und andere haben, der uns antreibt und von dem wir nicht loslassen können, auch wenn wir wissen, dass wir etwas nicht besser hinbekommen oder Fehler gemacht haben. Dann hadern wir damit, zerbrechen uns den Kopf und können uns oder anderen einfach nicht verzeihen. Unser Selbstwert sinkt rapide – wie auch unsere internale Kontrollüberzeugung. Das ist unsere Überzeugung, dass wir unser Leben beeinflussen und kontrollieren können.

Dem eigenen Perfektionsanspruch nicht gerecht zu werden hat also auch immer etwas mit Kontrollverlust zu tun. Erfülle ich die eigenen Erwartungen, kontrolliere ich mein Handeln und den Output. Ich fühle mich gut, weiß, woran ich bin und habe alles unter Kontrolle.

Doch woher kommt unser Perfektionsstreben?

Dafür gibt es unterschiedliche Ursachen. So können unser Temperament, gesellschaftliche Einflussfaktoren, aber auch unsere Werte oder Veranlagung die Ursache sein.

Der wichtigste Grund aber ist der, den wir im Nachhinein auch noch wesentlich beeinflussen können: Unsere Bezugspersonen. Die Menschen, auf die wir in der Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter angewiesen waren, denen wir uns anvertraut haben.

Sind wir in einem Umfeld groß geworden, in dem jeder Fehler bestraft wurde, werden wir auch im Erwachsenenalter versuchen, Fehler zu unterlassen. Unsere Vermeidungsstrategie ist dann das Streben nach Perfektion. Als Kind haben wir gelernt, dass wir anerkannt und gemocht werden, wenn wir es so machen, wie andere es von uns erwarten. Dies kann am Ende zur Konfliktvermeidung führen und zu einem überangepassten Verhalten.

Wurden wir in der Schule von anderen belächelt, weil wir die „falschen“ Klamotten trugen oder immer nur mit Ach und Krach weitergekommen sind, beginnen wir, uns mit anderen zu vergleichen. Wir stellen fest, dass wir nicht so sind, wie unsere Mitschüler:innen. Wir stellen fest, dass wir nicht klug, nicht schön, nicht redegewandt genug sind und ziehen uns in unsere eigene Welt zurück. oder wir rebellieren oder versuchen so zu sein, wie sie: Perfekt!

Möglicherweise haben wir auch einen Beruf ergriffen, in dem es um Perfektion und Präzision geht – Sportler, Handwerker, Laborant, Chirurg, Qualitätsmanager, um nur einige Beispiele zu nennen. Da stellt sich die Frage, was zuerst da war, das Perfektionsstreben oder der gewählte Job.

All‘ das sind Beispiele, die die Komplexität aufzeigen, die mit Perfektionismus zusammenhängen kann. Immer dann, wenn wir das Gefühl haben, dass unser Perfektionsstreben zur Last für uns selbst oder andere wird, lohnt es sich, tiefer zu blicken.

Es gibt auch Gefahren!

Die Gefahr hinter dysfunktionalem Perfektionismus sind Störungen des Verhaltens oder der Persönlichkeitsstruktur. Es kann zur Erschöpfung bis hin zum Burnout oder Depressionen kommen, Angststörungen können sich einstellen, genauso wie Panikattacken oder Essstörungen. Aber auch Süchte oder der Hang zu übertriebener Selbstoptimierung können die Folge sein.

Gemeinsam mit einer/m Coach oder Therapeut:in kann dem Thema auf den Grund gegangen und die Ursache transformiert werden, so dass das Leben sich wieder in leichter und freudvoller anfühlt.

Dazu gehört zu lernen, dass nicht immer 130% erforderlich sind, sondern auch mal 100% oder gar 80% ausreichen, um zum Ziel zu kommen. Dazu gehört aber auch, sich von der Angst vor Ablehnung zu verabschieden oder der Illusion, dass andere alles immer perfekt machen. Auch den Vergleich mit anderen schrauben wir dann auf ein gesundes Maß herunter und erlauben nicht nur uns, sondern auch unserem Umfeld Fehler.

Passend dazu: Prokrastination überwinden; Wenn Perfektionismus Umsetzung verhindert (Podcast); Sätze unserer Kindheit; Konditionierungen und Überzeugungen transformieren

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  1. […] Passend dazu: Wenn Perfektionismus Umsetzung verhindert – was kann ich tun? Perfektionismus – Fluch oder Segen? […]

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