Blog Die Macht der Kommunikation: Das Modell der "Vier Seiten einer Nachricht" von Friedemann Schulz von Thun

Die Macht der Kommunikation: Das Modell der „Vier Seiten einer Nachricht“ von Friedemann Schulz von Thun

In der Welt der Kommunikation sind Missverständnisse allgegenwärtig. Dabei liegt es oft nicht an den Worten, die wir wählen, sondern an der Art und Weise, wie wir sie verwenden und wie sie von anderen interpretiert werden.

Friedemann Schulz von Thun, ein angesehener deutscher Psychologe, hat ein Modell entwickelt, das die Tiefe und Komplexität menschlicher Kommunikation beleuchtet. Das Modell der „Vier Seiten einer Nachricht“ ist ein mächtiges Werkzeug, das uns ermöglicht, über den offensichtlichen Wortlaut einer Botschaft hinauszublicken und die subtilen Nuancen der Kommunikation zu verstehen.

Bei der Konzeption des Modells bezog sich Schulz von Thun auf die Sprachtheorien von Karl Bühler und Paul Watzlawick. Die „Vier Seiten einer Nachricht“ sind auch noch bekannt unter dem Begriff „Kommunikationsquadrat“ oder „Vier Ohren Modell“.

Die Entstehung des Modells

Die Wurzeln des Modells reichen bis in die 1970er Jahre zurück, als Friedemann Schulz von Thun sein Interesse an der Kommunikationstheorie, Psychologie und Linguistik vertiefte. Dies mündete schließlich in seinem Buch „Miteinander reden: Störungen und Klärungen“, das 1981 erstmals veröffentlicht wurde.

Sein Modell, inspiriert von der Kommunikationstheorie, Psychologie und Linguistik, postuliert, dass jede Nachricht vier miteinander verwobene Ebenen hat: den Sachinhalt, den Beziehungsaspekt, die Selbstoffenbarung, und den Appell.

Wenn uns eine Nachricht erreicht, empfangen wir diese auf allen vier Ohren. Es kommt häufig vor, dass Menschen ein Ohr bevorzugen. Je nachdem, auf welcher Ebene unsere Ohren auf Empfang geschaltet sind, nimmt das Gespräch einen ganz anderen Verlauf.

Das Modell der „Vier Seiten einer Nachricht“ dient zur Identifizierung von Missverständnissen und der Verbesserung der kommunikativen Beziehungen. Kommunikation gibt es überall im Alltag – im Privat- und Berufsleben. Es kann Unterstützung leisten, Fehler in der Kommunikation zu finden und die Ursachen für Missverständnisse zu identifizieren.

Schulz von Thun drückt es so aus, dass wir mit vier Schnäbeln gleichzeitig kommunizieren und die meisten Botschaften implizit mitsenden. Dabei ist uns oft nicht bewusst, welche Seite der Nachricht wir betonen und sind häufig unwissend darüber, wie die Nachricht beim Gegenüber ankommt.

Die vier Ebenen

Der Sachinhalt

Dies ist die offensichtliche Information oder Anweisung in der Nachricht. Es ist das, was wörtlich gesagt oder getan wird. Beispielsweise wäre die Nachricht „Bitte schließe das Fenster“ ein Beispiel für den Sachinhalt.

Menschen, die besonders stark auf dem Sachohr hören, bemühen sich vor allem den Sachverhalt zu verstehen. Das kann zum Problem werden, wenn es im Gespräch eigentlich um zwischenmenschliche Aspekte geht.

Reagieren wir beispielsweise auf die Aussage der Kaffee sei leer nur auf der Sachebene und entgegnen: „Ja das stimmt, seit gestern schon“, könnte sich unsere Mitbewohnerin nicht ernst genommen fühlen, weil sie will, dass wir eigentlich auf den Appell reagieren.

Der Beziehungsaspekt

Hier geht es darum, wie die Nachricht die Beziehung zwischen Sender und Empfänger beeinflusst. Dies kann positiv oder negativ wirken und das Vertrauen, die Nähe oder Distanz zwischen den Kommunikationspartnern beeinflussen.

Eine freundliche Kommunikation stärkt die Beziehung, während Unhöflichkeit sie belasten kann. Viele Menschen haben ein sehr ausgeprägtes Beziehungsohr, was nicht verwunderlich ist, sind wir doch vor allem soziale Wesen.

Problematisch wird es, wenn dieses Ohr dauerhaft gespitzt ist und wir dadurch quasi auf Beziehungslauer sitzen. Häufig werden Aussagen dann stark auf sich bezogen, als Angriffe oder Beleidigungen gedeutet, obwohl dies vielleicht gar nicht so gemeint war.

Die Selbstoffenbarung

Diese Ebene offenbart, was der Sender über sich selbst preisgibt. Dies kann durch Tonfall, Körpersprache oder Wortwahl vermittelt werden.

Vorteilhaft kann es sein, wenn wir mit dem Selbstoffenbahrungs-Ohr hinhören. Hier versuchen Menschen herauszufinden, was das Gegenüber eigentlich über sich mitteilt. Wir tauchen in die Gefühls- und Gedankenwelt unseres Gegenübers ein.

Problematisch kann es werden, wenn wir bevorzugt auf diesem Ohr hören. Dann tendieren wir dazu, jede Aussage des Gegenübers zu psychologisieren und glauben, die dahinterliegenden Absichten immer zu durchschauen, nach dem Motto: „Das sagst du jetzt nur, weil Du mich Deinen Missmut spüren lassen willst, dass der Kaffee leer ist.“ Wir überhören dann aber vielleicht andere Botschaften und sprechen uns eine Art Deutungshoheit zu, die der Beziehung schaden könnte.

Der Appell

Dies ist die Ebene, die die beabsichtigte Reaktion oder Handlung des Empfängers beschreibt. Es drückt aus, was der Sender vom Empfänger erwartet. Das Appell-Ohr wiederum ist bei Personen sehr ausgeprägt, die versuchen, es möglichst allen recht zu machen.

Bei einer Nachricht fragen sich Personen, die auf diesem Ohr hören: „Was soll ich jetzt tun, denken oder fühlen aufgrund der Mitteilung?“. Das kann problematisch werden, wenn die Person dann ständigen Appelldruck spürt und womöglich die eigenen Bedürfnisse vernachlässigt. Das kann sogar dazu führen, dass Personen mit gespitztem Apell-Ohr ständig denken, dass hinter jeder Nachricht eine berechnende und heimliche Absicht steckt.

Aus rein dieser Perspektive würden wir womöglich sofort aufspringen und Kaffee kaufen gehen, obwohl die Kollegin uns nur darüber informieren wollte, dass der Kaffee aufgebraucht ist.

Diese vier Seiten sind wie ineinander verschlungene Fäden, die die Gesamtheit einer Nachricht ausmachen und die Kommunikation umfassender und komplexer gestalten.

Praktische Auswirkungen

Die Anwendung des Modells der „Vier Seiten einer Nachricht“ kann in zahlreichen Aspekten unseres Lebens von großem Nutzen sein:

Besseres Verständnis

Wenn wir lernen, die verschiedenen Ebenen einer Nachricht zu identifizieren und zu berücksichtigen, können wir Missverständnisse minimieren. Wir sind in der Lage, sicherzustellen, dass wir und unser Gesprächspartner wirklich auf derselben Wellenlänge sind.

Stärkung von Beziehungen

Indem wir uns bewusst machen, wie unsere Worte und Taten den Beziehungsaspekt beeinflussen, können wir die Qualität unserer Beziehungen vertiefen. Wenn wir respektvoll und rücksichtsvoll kommunizieren, schaffen wir Vertrauen und verringern Konfliktpotenzial.

Klare Kommunikation

Das Modell ermöglicht es uns, unsere Nachrichten gezielter zu gestalten, um sicherzustellen, dass unser Appell klar und effektiv ist. Dies ist insbesondere in beruflichen Situationen hilfreich, in denen klare Anweisungen und Erwartungen entscheidend sind.

Entstehung von Kommunikationsstörungen

Wenn Schulz von Thun von Konflikten und Missverständnissen spricht, dann nennt er dies Kommunikationsstörungen. Sie können entstehen, wenn Menschen

  • sich nicht über die möglichen vier Seiten ihrer gesendeten Nachricht bewusst sind.
  • keine expliziten Botschaften äußern und dadurch Interpretationsspielraum entsteht.
  • auf eine Seite der empfangenen Nachricht Bezug nehmen, auf der das Gewicht nicht liegt.
  • überwiegend nur mit einem gespitzen Ohr hören und für die anderen Botschaften einer Nachricht taub sind.
Kommunikationsstörung am Beispiel des leeren Kaffees

Die Kollegin will uns auf der Appell-Ebene dazu bringen, beim nächsten Einkauf Kaffee mitzubringen. Sie verpackt diese Botschaft in der Nachricht: „Der Kaffee ist leer!“. Hier ist Interpretationsspielraum gegeben, denn explizit sagt sie nichts darüber, was sie eigentlich will. Vielleicht waren wir über den Befehlston der Kollegin, den sie öfter an den Tag legt, verärgert. Wir hören mit dem Beziehungs-Ohr die Botschaft: „Ich kann Dir hier die Aufgaben erteilen und Du hast sie auszuführen.“ Grimmig reagieren wir auf diesen von uns interpretierten Beziehungsinhalt: „Wenn Du unbedingt Kaffee brauchst, hol ihn Dir doch selbst. Ich bin ja nicht deine Angestellte.“ Dies kann der Beginn eines Konfliktes sein.

Mögliche Lösungen von Kommunikationsproblemen nach Schulz von Thun

Schulz von Thun schlägt hier explizite Metakommunikation vor. Das bedeutet so viel wie Kommunikation über die Kommunikation. Also die Auseinandersetzung damit, wie eine gesendete Nachricht gemeint war und wie die empfangene Nachricht entschlüsselt wurde.

Dies kann helfen, dass wir uns in Konfliktsituationen vom Geschehen distanzieren können und Mut zur Offenheit und Selbstoffenbarung gewinnen. Das Vier-Seiten-Modell kann hier als Wahrnehmunghilfedienen.

Empfehlungen und Anwendungsgebiete

Um die Macht der Kommunikation voll zu entfalten, empfehle ich die Anwendung des Modells der „Vier Seiten einer Nachricht“ im Alltag:

Aktiv Zuhören: Wenn Du mit anderen sprichst, versuche nicht nur den Wortlaut zu verstehen, sondern achte auch auf nonverbale Hinweise und Töne. Dies hilft Dir dabei, die verschiedenen Ebenen der Nachricht zu erkennen.

Reflektieren: Denke darüber nach, wie Deine eigenen Botschaften auf verschiedenen Ebenen interpretiert werden könnten. Dieses Selbstbewusstsein kann Dir helfen, Dir bewusst zu machen, wie Du auf andere wirkst.

Empathie: Versetze Dich in die Lage Deines Gesprächspartners und versuche zu verstehen, wie er oder sie die Nachricht wahrnimmt. Dies fördert Verständnis und Mitgefühl.

Nachfragen: Bei möglicher Fehlinterpretation kannst Du beim Sender nachfragen, ob die Aussage so gemeint war, wie Du sie interpretiert hast. Das schafft Klarheit.

Rückmeldung geben: Wenn bei Dir Unmut durch eine empfangene Nachricht entsteht, kannst Du dies Deinem Gegenüber direkt spiegeln. Bitte beachte hierbei die üblichen Feedbackregeln, um mögliche Konflikte nicht noch zu verstärken.

Selbstoffenbarung erfragen: Wenn Du merkst, dass Deine Nachricht vielleicht nicht so aufgenommen wurde, wie Du es intendiert hast, dann kannst du eine Selbstoffenbarung erfragen. Zum Beispiel: „Fühlst Du Dich durch meine Aussage angegriffen?“

Profi-Tipp

Reicht das nicht aus, kannst Du das Vier-Seiten-Modell hinzuziehen, um gemeinsam mit Deinem Gegenüber zu analysieren, welche Botschaften ihr gesendet und welche ihr empfangen habt. So ist es möglich, die Abweichungen zu erkennen, die du anschließend im Gespräch klären kannst:

  1. Schnapp Dir Zettel und Stift und schreibe die Nachricht, die zum Konflikt geführt hat, jeweils in die Mitte von zwei Blättern.
  2. Male jeweils ein Quadrat drumherum.
  3. Nun schreibt die Person, die die Nachricht gesendet hat, auf, welche Botschaften sie jeweils auf den vier Seiten senden wollte.
  4. Die andere Person schreibt auf den zweiten Zettel, welche Botschaften sie jeweils auf den vier Seiten herausgehört hat.
  5. Gleicht die vier Seiten ab und sprecht über die Abweichungen. Das kannst Du gut bei Konflikten im Team oder in der Familie verwenden.

Achtung! Schulz von Thun hat nie behauptet, dass es immer vier Ebenen in einer Nachricht gibt. Es handelt sich um eine von ihm geschaffene Hilfestellung zur Kommunikationsanalyse. Es kommt nicht auf die Existenz dieser vier Seiten an, sondern darauf, ob die Anwendung des Modells dazu dient, dass wir unser Kommunikationsverhalten reflektieren und in Kommunikationssituationen angemessen reagieren. Wenn es eine fünfte Seite gibt oder nur eine, das ist hier nicht die Frage.

Die vier Ohren und das Ich

Schulz von Thun geht davon aus, dass die Persönlichkeit eines Menschen und sein Selbstbewusstsein auch das hörende Ohr bestimmen. Wer viel von sich preisgibt und sich gut selber kennt, wird auch seine Selbstoffenbarungen bei anderen besser deuten können. Zudem wird es ihm vielleicht eher möglich sein, den Appell zu erkennen, denn er weiß, was er sich selbst wünschen würde, wenn er die Situation seines Gegenübers hätte.

„Wer sich selbst versteht, kommuniziert besser.“

(Friedemann Schulz von Thun)

Welche Ohren stehen bei Dir im Vordergrund? Ist das „Ohr“ vielleicht sogar unterschiedlich ausgeprägt und das bei verschiedenen Gesprächspartnern? Ein Blick in den Alltag kann helfen. Hier geht es nicht darum, Verhaltensmuster als schlecht oder falsch zu bewerten, sondern darum, dass es wichtig ist, die andere Perspektive zu sehen. Dies kann nur durch Kommunikation erreicht werden.

Überlege, ob es vielleicht sinnvoll sein kann, die Ohren zu trainieren, die noch nicht so stark ausgeprägt sind, weil die Ohrmuskulatur verkümmert ist und übe Dich darin, aktiv auf allen Ohren zu hören, selbst, wenn es dir schwerfällt und Du denkst, dass Du keine Informationen mehr von Deinem Gesprächspartner aufnehmen kannst. Beachte dabei, dass es nicht immer möglich ist auf allen Ohren zu hören, denn in manchen Situationen ist dies auch nicht sinnvoll und nicht notwendig.

Fazit

Es gibt viele Konzepte und Modelle, die uns in der täglichen Kommunikation helfen können. Doch nicht immer muss es wissenschaftlich korrekt sein. Auch das Vier-Seiten-Modell ist nicht wissenschaftlich bewiesen. Es lebt davon, dass es von den Nutzern auf die persönlichen Bedürfnisse angepasst wird.

In einer Welt, in der Kommunikation ein Schlüssel zur Lösung von Problemen und zum Aufbau von Beziehungen ist, bietet dieses Modell jedoch eine unschätzbare Hilfe.

Indem wir die vier Seiten einer Nachricht verstehen, können wir die Macht der Kommunikation voll ausschöpfen und ein harmonischeres, effektiveres Leben führen. Die Worte, die wir wählen, können nicht nur Informationen übertragen, sondern auch die Qualität unserer Beziehungen gestalten.

In der Welt der Psychologie und Kommunikation existieren vielfältige Ansätze, die sich auf den ersten Blick zu unterscheiden scheinen. Doch die Modelle und Theorien, die uns helfen, die tiefen Gewässer der menschlichen Interaktion zu navigieren, sind häufig miteinander verwoben. Gut zu erkennen ist das an der Kombination von Schulz von Thuns Modell der „Vier Seiten einer Nachricht“ mit den Axiomen der Kommunikation von Paul Watzlawick und der Transaktionsanalyse von Eric Berne. Die Kombination dieser Modelle bietet ein umfassendes Verständnis für die Komplexität der menschlichen Kommunikation und Verhaltensmuster.

Dieses Wissen ermöglicht es uns, Missverständnisse zu minimieren, die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen zu verbessern und bewusster und effektiver zu kommunizieren.

Siehe auch: Transaktionsanalyse – Kommunikation auf Augenhöhe; Die Perspektive wechseln – ich doch nicht!; Wie Self-Leadership die Kommunikation im Team verbessern kann

6 Comments

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